Beim Anblick von Snakes Körper, der flach, mit dem Gesicht nach unten, auf dem Boden lag, den Kopf unter dem großen schwarzen Bohrapparat - dazu ein klaffendes rotes Loch direkt in der Mitte des Schädels - zuckte Barnaby zusammen.
»Oh, Scarecrow«, meinte Barnaby. »Hast du ihm das antun müssen?«
Schofield atmete noch immer schwer und überall auf dem Gesicht hatte er winzige Blutspritzer. Er sagte kein Wort.
Barnaby schüttelte den Kopf. Er wirkte beinahe enttäuscht, dass Schofield nicht von Snake getötet worden war.
»Bringt ihn hier raus«, sagte Barnaby ruhig zu den beiden SAS-Männern hinter sich. »Mr. Nero.«
»Jawohl, Sir.«
»Knüpfen Sie ihn auf!«
Unten in der Höhle tobte ein anderer Kampf.
Kaum war der erste SAS-Taucher aus dem Wasser gekommen, da war auch schon ein zweiter SAS-Taucher oben und stand im seichten Wasser hinter ihm.
Der erste SAS-Soldat stürmte, heftig um sich schießend, aus dem Wasser. Der zweite Mann folgte ihm auf dem Fuß, platschte mit gehobenem Gewehr durch das knietiefe Wasser, da wurde er jäh - wumm! - heftig unter die Wasseroberfläche gezogen.
Der erste Soldat - auf trockenem Boden und ungeachtet des Schicksals, das seinem Partner widerfahren war -, fuhr nach rechts herum und ließ eine Salve auf Montana los und genau da tauchte Gant hinter ihrem Felsbrocken auf und putzte ihn von der linken Seite her weg.
Gant drehte sich um, sah weitere SAS-Soldaten mit ihren Scootern an der Oberfläche des Tümpels auftauchen.
Plötzlich erregte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit.
Bewegung.
Ein großer schwarzer Körper glitt aus einem der breiten, drei Meter großen Löcher in der Eiswand oberhalb des Tümpels und ließ sich geschmeidig ins Wasser fallen.
Gant fiel die Kinnlade herab.
Es war irgendeine Art von Tier.
Aber es war so riesig. Es sah aus wie... sah aus wie ein Seehund. Ein mächtiger, großer, gewaltiger Seehund.
In diesem Augenblick kam ein weiterer massiger Seehund aus einem zweiten Loch in der Eiswand. Und dann noch einer. Und noch einer. Sie glitten einfach aus ihren Löchern und klatschten in den Tümpel, regneten von allen Seiten auf das Team der SAS-Taucher hinab.
Gant beobachtete sie einfach nur mit offenem Mund.
Der Tümpel bestand jetzt aus kabbeligem, kochendem Schaum. Urplötzlich ging ein weiterer SAS-Taucher unter und zurück blieb der Schmier seines eigenen Bluts. Und dann stürzte der Mann gleich neben ihm abrupt nach vorn ins Wasser, als einer der gewaltigen Seehunde von hinten in ihn hineinstieß und unter Wasser drückte. Gant sah den glitzernden feuchten Rücken des Tiers sich einen Augenblick lang über das Wasser heben, ehe es mit dem britischen Soldaten untertauchte.
Ein paar der SAS-Taucher schafften es bis ans Land. Aber die Seehunde folgten ihnen einfach aus dem Wasser hinaus. Ein Taucher lag auf Händen und Knien, krabbelte über das Eis und versuchte verzweifelt, vom Rand des Wassers wegzukommen, als ein gigantischer, sieben Tonnen schwerer Seehund sich aus dem Tümpel gleich hinter ihn warf.
Das massige Tier landete kaum einen halben Meter hinter ihm auf dem Eis und die Erde zitterte unter seinem Gewicht. Daraufhin humpelte der große Seehund vorwärts und schloss die Kieferknochen um das Bein des SAS-Manns. Knochen knirschten. Der Mann kreischte.
Und dann, ehe er recht wusste, wie ihm geschah, begann der große Seehund ihn aufzufressen.
Roh, mit großen, mächtigen Bissen. Das hohe Reißgeräusch von Fleisch, das vom Knochen gerissen wurde, erfüllte die Höhle. Gant starrte in schweigender Ehrfurcht auf die Szenerie.
Die SAS-Männer kreischten. Die Seehunde bellten. Mehrere von ihnen fraßen ihre Opfer, während sie noch lebten.
Gant starrte die Seehunde einfach nur an. Sie waren gewaltig. Wenigstens so groß wie Killerwale. Und sie hatten knollenförmig abgerundete Schnauzen, die sie einmal in einem Buch gesehen hatte.
Seeelefanten.
Gant fielen zwei kleinere Seehunde in der Gruppe auf. Diese beiden kleineren Tiere hatten ganz besondere Zähne - seltsame verlängerte untere Eckzähne, die aus dem
Unterkiefer und über die Oberlippe ragten, wie ein Paar umgekehrter Stoßzähne. Die größeren Seehunde hatten, wie Gant sah, nicht diese Stoßzähne.
Gant versuchte, sich alles ins Gedächtnis zurückzurufen, was sie über Seeelefanten wusste. Wie Killerwale lebten Seeelefanten in großen Gruppen, die aus dem dominanten Männchen bestanden, dem Bullen, sowie einem Harem aus acht oder neun Weibchen oder Kühen, die allesamt kleiner als der Bulle waren.
Gant lief es kalt über den Rücken, als sie das Geschlecht eines der großen Seehunde vor sich sah.
Das waren die Weibchen der Gruppe.
Die beiden kleineren Seehunde, die sie sah, waren ihre Jungen. Männliche Junge, bemerkte Gant.
Gant überlegte, wo wohl der Bulle war. Er wäre fast gewiss größer als diese weiblichen Exemplare. Aber wenn die Weibchen schon so groß waren, wie groß wäre er?
Viele Fragen schössen Gant durch den Kopf.
Warum griffen sie an? Seeelefanten konnten, wie Gant wusste, ausgesprochen aggressiv sein, insbesondere dann, wenn ihr Territorium bedroht wurde.
Und warum jetzt? Warum durften Gant und ihr Team vor nur wenigen Stunden unbelästigt den Eistunnel passieren, während der SAS jetzt eine derart heftige Attacke erleben musste?
Es folgte ein jähes letztes Aufkreischen vom Tümpel her, dem ein Klatschen folgte und Gant sah hinter ihrem Felsbrok-ken hervor.
Es herrschte ein langes, eiskaltes Schweigen. Das einzige Geräusch war das Klatschen von Wellen gegen das Ufer des Tümpels.
Alle SAS-Taucher waren tot. Die meisten der Seehunde waren jetzt innerhalb der Höhle, über die Überreste ihrer Opfer gebeugt - die Leichen der toten SAS-Soldaten. Und genau dann vernahm Gant ein Ekel erregendes Mahlen und sie wandte sich um und sah, dass die Seeelefanten ihren Schmaus begonnen hatten.
Dieser Kampf war wirklich und wahrhaftig vorüber.
Schofield stand auf dem Tümpeldeck der Eisstation Wilkes, die Hände vor sich mit Handschellen gefesselt. Einer der SAS-Soldaten war eifrig damit beschäftigt, den Greifhaken von Books Maghook um seine Fußknöchel zu befestigen. Schofield blickte nach links und sah dort die hoch aufragende Flosse eines Killerwals durch das schmutzig-rote Wasser des Tümpels streichen.
»Taucherteam, Bericht!«, sagte ein SAS-Funker in der Nähe in sein tragbares Gerät. »Ich wiederhole. Taucherteam, bitte kommen!«
»Irgendeine Reaktion?«, fragte Barnaby.
»Keinerlei Reaktion, Sir. Zuletzt hatten sie gesagt, dass sie dabei seien, innerhalb der Höhle aufzutauchen.«
Barnaby warf Schofield einen Blick zu. »Versuch es weiter«, sagte er zu dem Funker. Dann wandte er sich an Schofield.
»Ihre Männer unten in dieser Höhle müssen meinen Leuten einen ganz schönen Kampf geliefert haben.«
»So etwas tun sie«, erwiderte Schofield.
»Aha«, meinte Barnaby. »Noch eine letzte Bitte des Verurteilten? Eine Augenbinde? Zigarette? Einen Schluck Brandy?«
Zunächst sagte Schofield nichts, er blickte einfach vor sich auf seine mit Handschellen gefesselten Hände.
Und dann erkannte er es. Schofield schaute jäh auf.
»Eine Zigarette«, sagte er rasch und schluckte. »Bitte.« »Mr. Nero. Eine Zigarette für den Lieutenant.« Nero trat vor und bot Schofield eine Schachtel Zigaretten an. Schofield zog eine mit den gefesselten Händen heraus und steckte sie sich in den Mund. Nero zündete sie an. Schofield inhalierte tief und hoffte verzweifelt, dass niemandem auffiel, wie seine Gesichtsfarbe sich ins Grünliche verkehrte. Schofield hatte in seinem ganzen Leben noch nie geraucht.
»Also gut«, meinte Barnaby. »Das reicht. Meine Herren, hieven Sie ihn hoch. Scarecrow, es war ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.«
Schofield pendelte mit dem Kopf nach unten über dem Tümpel. Seine Hundemarke hing ihm lose vom Kinn herab und glitzerte silbrig in dem weißen, künstlichen Licht der Station. Das Wasser unter ihm hatte einen hässlichen Rotton.
Books Blut.
Schofield sah zu der Taucherglocke in der Mitte des Tümpels hinauf, sah Renshaws Gesicht in einem der Bullaugen - sah ein einziges, entsetztes Auge zu Schofield hinausspähen.
Schofield hing einfach dort, einen Meter über dem grässlichen roten Wasser. Ruhig hielt er die Zigarette im Mund und nahm einen weiteren Zug.
Die SAS-Soldaten mussten es für eine vergebliche Heldentat gehalten haben - aber während die Zigarette Schofield aus dem Mund baumelte, übersahen sie völlig, was er mit den Händen tat.
Barnaby grüßte Schofield. »Rule Britannia, Scarecrow.«
»Scheiß der Hund auf Britannia«, erwiderte Schofield.
»Mr. Nero«, sagte Barnaby. »Lassen Sie ihn herab.«
Drüben neben der Sprossenleiter drückte Nero einen Knopf auf dem Werfer des Maghook. Der Werfer selbst war noch immer zwischen zwei Sprossen der Leiter verkeilt, während das Seil fest über die einziehbare Brücke oben auf Deck C gespannt war und dort denselben flaschenzugähnlichen Mechanismus erzeugte, der dazu benutzt worden war, Book ins Wasser hinabzulassen. Das Seil des Maghook spulte sich ab.
Schofield sank zum Wasser hinab.
Die Hände waren noch immer gefesselt vor seinem Körper. Er hielt die Zigarette zwischen den Fingern der rechten Hand.
Als erstes tauchte sein Kopf in das schmutzig rote Wasser. Dann die Schultern. Dann der Brustkasten, der Bauch, die Ellbogen...
Dann jedoch, gerade als Schofields Handgelenke dabei waren unterzutauchen, verdrehte Schofield rasch die Zigarette zwischen den Fingern und richtete sie auf die Schleife der Magnesiumzündschnur, die er jetzt um die Kette zwischen seinen Handgelenken geschlungen hatte.
Schofield hatte die Zündschnur gesehen, als er Augenblicke zuvor auf dem Deck gestanden hatte. Er hatte vergessen, dass er sie sich in Little America IV ums Handgelenk gebunden hatte. Dem SAS musste sie, als er ihn durchsucht und von all seinen Waffen befreit hatte, ebenfalls entgangen sein.
Die brennende Spitze der Zigarette berührte die Zündschnur den Bruchteil einer Sekunde, ehe Schofields Handgelenke unter der Oberfläche verschwanden.
Die Zündschnur fing sofort Feuer, gerade als Schofields Handgelenke in dem dunkelroten Wasser verschwanden.
Sie brannte grellweiß, sogar unter Wasser, und durchschnitt dabei die Kette von Schofields Handschellen wie ein Messer, das durch Butter fährt. Jäh waren Schofields Hände auseinander und frei.
In diesem Augenblick brach ein Paar Kieferknochen durch den roten Schleier rings um Schofields Kopf und Schofield sah das gewaltige Auge eines Killerwals, das ihn direkt anschaute. Und dann verschwand es plötzlich wieder in dem roten Schleier.
Schofields Herz raste. Er sah überhaupt nichts. Das Wasser rings um ihn her war undurchdringlich. Einfach eine schlammige Wolke aus Rot.
Und dann hallte auf einmal eine Reihe bizarr klingender Klicklaute durch das Wasser um ihn her. Klick-Klick. Klick-Klick.
Schofield runzelte die Stirn. Was war das? Die Killerwale? Und dann traf es ihn wie ein Schlag. Schall. Scheiße!
Die Killerwale benutzten Schallwellen, um ihn in dem schlammigen Wasser zu finden. Von vielen Walen war bekannt, dass sie Schallwellen benutzten - Pottwale, Blauwale, Killerwale. Das Prinzip war einfach: der Wal erzeugte ein lautes Klick mit der Zunge, der Klicklaut fuhr durchs Wasser, prallte von einem beliebigen Objekt im Wasser ab und kehrte zum Wal zurück - wodurch er die Position des Objekts erfuhr. Sonarapparate auf Unterseebooten funktionierten nach dem gleichen Prinzip.
Schofield durchsuchte verzweifelt den wolkigen roten Schleier um sich herum durchsuchte ihn nach Walen -, als jäh einer von ihnen aus dem Dunstschleier hervorbrach und auf ihn zu jagte.
Schofield kreischte unter dem Wasser, aber der Wal glitt an ihm vorüber, wobei er grob seine Körperseite streifte.
In diesem Augenblick fiel Schofield ein, was Renshaw ihm zuvor über die Jagdgewohnheiten der Killerwale erzählt hatte.
Sie streifen einen und stellen dadurch den Besitz klar.
Dann fressen sie einen.
Schofield richtete sich senkrecht auf und durchbrach die Oberfläche. Er hörte die SASSoldaten auf Deck E jubeln. Er ignorierte sie, holte tief Luft und verschwand wieder unter Wasser.
Ihm blieb nicht viel Zeit. Der Killerwal, der gerade sein Revier abgesteckt hatte, würde jetzt jede Sekunde zurückkehren.
Laute Klickgeräusche hallten durch das rote Wasser um ihn her.
Und dann kam Schofield urplötzlich eine Idee.
Sonar...
Scheiße, dachte Schofield und klopfte sich die Taschen ab, habe ich das noch?
Er hatte es noch.
Schofield zog Kirsty Hensleighs Kunststoffinhalator aus der Tasche. Er drückte den Spenderknopf und eine kleine Reihe dicker Blasen schoss aus dem Inhalator.
Okay, brauche ein Gewicht.
Brauche was zum Beschweren...
Schofield sah es sogleich.
Rasch zog er sich die Hundemarke aus rostfreiem Stahl über den Hals und schlang die Halskette um den Spenderknopf des Inhalators, so dass er gedrückt blieb.
Ein ständiger Strom dicker Blasen schoss aus dem Inhalator.
Schofield spürte, wie das Wasser um ihn herum sich wiegte und schwankte. Irgendwo dort draußen aus dem schlammigen Rot des Tümpels kehrte der Killerwal zurück.
Schofield ließ den kleinen Inhalator, der jetzt mit seiner stählernen Hundemarke beschwert war, rasch los.
Der Inhalator sank augenblicklich hinab, wobei er eine Spur dicker Blasen zurückließ, die hinter ihm im Wasser hinaufschossen. Nach einer Sekunde sank der Inhalator in den schlammig roten Dunst hinab und Schofield verlor ihn aus den Augen.
Einen Augenblick später kam der Killerwal aus dem Dunst geschossen, genau auf Schofield zu, das Maul weit geöffnet. Schofield starrte das massige schwarzweiße Vieh einfach nur an und betete zu Gott, dass er sich recht erinnert hatte.
Aber der Killerwal hielt weiter auf ihn zu. Er jagte heran -erschreckend rasch - und bald sah Schofield nur noch seine Zähne, die Zunge und den gähnenden Abgrund seines Schlunds, und dann...
Ohne Vorwarnung legte der Killerwal sich im Wasser in die Kurve und schoss hinab, jagte hinter dem Inhalator und der Blasenspur her.
Schofield seufzte erleichtert auf.
In einem dunklen Winkel seines Gehirns dachte Schofield über Sonardetektoren nach. Obwohl die Behauptung weit verbreitet ist, dass der Schall von einem Objekt im Wasser reflektiert wird, stimmt das genau genommen nicht ganz. Vielmehr wird der Schall von der mikroskopischen Luftschicht reflektiert, die zwischen dem Objekt und dem Wasser selbst liegt.
Als Schofield daher den Inhalator versenkte - der eine Spur hübscher fetter Luftblasen hinter sich herzog -, hatte er, zumindest insofern, was den Killerwal mit Sonarortung betraf-, ein völlig neues Ziel geschaffen. Der Wal musste den Blasenstrom mit seinen Klicklauten entdeckt und angenommen haben, dass Schofield versuchte, ihm zu entkommen. Und daher war er hinter dem Inhalator her gejagt.
Schofield dachte nicht mehr weiter darüber nach.
Er hatte anderes zu erledigen.
Er griff in seine Brusttasche und holte Jean Petards Blendgranate hervor. Er zog den Stift heraus, zählte bis drei, richtete sich dann rasch im Wasser auf und durchbrach die Oberfläche. Daraufhin warf er die Blendgranate senkrecht in die Luft, ließ sich wieder ins Wasser zurückfallen und kniff fest die Augen zusammen.
Anderthalb Meter über der Oberfläche des Tümpels erreichte die Blendgranate den Zenit ihres Bogens und hing den Bruchteil einer Sekunde lang in der Luft.
Dann ging sie los.
Trevor Barnaby sah die Granate aus dem Wasser kommen. Er benötigte eine weitere Sekunde, bis ihm klar wurde, worum es sich dabei handelte, aber da war es zu spät.
Zusammen mit all seinen anderen Männern tat Barnaby das Natürlichste auf der Welt, als er ein seltsames Objekt aus einem Wassertümpel hervorschießen sah.
Er schaute hin.
Die Blendgranate explodierte wie ein gewaltiges Blitzlicht und blendete sie allesamt. Wie einer wichen die SAS-Männer auf Deck E zurück, als ein Universum von Sternen und Sonnenflecken in ihren Augen lebendig wurde.
Schofield richtete sich erneut im Wasser auf. Nur dass er diesmal beim Durchbrechen der Oberfläche Petards Armbrust griffbereit in Händen hielt, wieder geladen und bereit zum Abschießen.
Schofield zielte rasch und feuerte.
Der Armbrustpfeil schoss über das gesamte Deck E und fand sein Ziel. Er schlug in den Werfer des Maghook, der zwischen den Sprossen der Sprossenleiter verkeilt war.
Der Werfer löste sich von der Sprossenleiter und schwang zum Tümpel hinüber. Als er zwischen den Sprossen der Sprossenleiter verkeilt worden war, war das Seil des Maghook in einem 45-Grad-Winkel hinauf zur einziehbaren Brücke auf Deck C gezogen worden. Da er sich jetzt aus der Sprossenleiter gelöst hatte - und da Schofield im Wasser trieb und kein Gewicht mehr am anderen Ende darstellte -, schwang der Werfer wie ein Pendel zurück, über den Tümpel hinaus und schlug mitten in Schofields wartende Hand.
Na gut!
Schofield blickte zur Brücke auf Deck C hinauf. Das Seil des Maghook lag jetzt wie Flaschenzug über der Brücke - der eine Teil des Seils verlief parallel aufwärts neben dem Teil, der abwärts verlief.
Schofield packte den Werfer fest und drückte auf den schwarzen Knopf am Griff des Maghook. Augenblicklich spürte er, wie er aus dem blutbeschmutzten Wasser hinausflog, als der Einholmechanismus des Maghook ihn auf die Brücke auf Deck C hievte, wobei das Seil über die Brücke selbst jagte und diese als Flaschenzug benutzte.
Schofield erreichte die Brücke und zog sich genau in dem Augenblick hoch, da die ersten SAS-Männer unten auf Deck E nach ihren Maschinengewehren griffen.
Schofield gönnte ihnen nicht einmal einen Blick. Er rannte bereits von der Brücke, als sie das Feuer eröffneten.
Zwei Sprossen auf einmal nehmend erstieg Schofield die Sprossenleiter zum Deck B.
Als er das erreicht hatte, was vom Laufsteg von Deck B noch übrig war, lud er wieder seine Armbrust. Daraufhin jagte er zum Osttunnel und zu den Wohnbereichen. Er musste Kirsty finden und sich daraufhin irgendeine Möglichkeit überlegen, wie er hier herauskäme.
Plötzlich bog vor ihm ein SAS-Soldat um die Ecke. Schofield riss die Armbrust hoch und schoss. Der Kopf des SAS-Soldaten fuhr zurück, als sich ihm der Pfeil in die Stirn bohrte, und er stürzte zu Boden.
Schofield schritt rasch hinüber zu dem Leichnam und hockte sich neben ihn hin.
Der SAS-Soldat hatte eine MP5, eine Glock-7-Pistole sowie zwei blaue Granaten, in denen Schofield Stickstoffgranaten erkannte. Schofield nahm alles an sich. Der SAS-Soldat hatte ebenfalls einen Leichtgewicht-Helm. Diesen nahm Schofield ebenfalls an sich, setzte ihn sich auf den Kopf und lief den Tunnel hinab.
Kirsty. Kirsty.
Wo hielten sie sie fest? Schofield wusste es nicht. Er vermutete irgendwo auf Deck B, aber nur, weil dort die Wohnbereiche waren.
Schofield betrat den kreisförmigen Außentunnel von Deck B, gerade als zwei SASSoldaten auf ihn zu rannten. Sie hoben ihre Maschinengewehre genau in dem Moment, da Schofield seine beiden Waffen hob und gleichzeitig abfeuerte. Im Nu gingen die beiden SAS-Männer zu Boden. Schofield hielt nicht inne, als er über ihre Leichen trat.
Er ging rasch den kreisförmigen Korridor hinab, suchte rechts, suchte links.
Jäh öffnete sich eine Tür links von Schofield und ein weiterer SAS-Soldat kam mit gehobenem Gewehr heraus. Es gelang ihm, einen Schuss anzubringen, ehe Schofield seine Waffen abfeuerte und den Soldaten in den Raum zurückschickte, aus dem er gerade gekommen war.
Schofield betrat den Raum hinter ihm. Es war das Wohnzimmer. Sofort erblickte er Kirsty. Er sah ebenfalls die beiden SAS-Soldaten, die gerade dabei waren, das junge Mädchen zur Tür zu schieben.
Schofield betrat vorsichtig das Wohnzimmer, beide Waffen gehoben.
Als Kirsty Schofield das Wohnzimmer mit den beiden gehobenen Waffen betreten sah, glaubte sie, sie sähe einen Geist.
Er sah schrecklich aus.
Er war nass bis auf die Haut; die Nase war gebrochen; das Gesicht zerschrammt und sein Körperschutz war übel zugerichtet.
Einer der beiden SAS-Soldaten hinter Kirsty blieb wie angewurzelt stehen, als er Schofield ins Zimmer treten sah. Er hielt Kirsty vor sich fest, setzte ihr eine Waffe an den Schädel und benutzte sie solchermaßen als Schild.
»Ich bring Sie um, Kumpel«, sagte der Soldat ruhig. »Ich schwöre beim verdammten Jesus Christus, ich streiche die Wände dieses Zimmers mit Ihrem Gehirn.«
»Kirsty«, sagte Schofield, als er ruhig seine Pistole auf die Stirn des SAS-Manns richtete, während er gleichzeitig mit seiner MP5 auf den Kopf des anderen SAS-Soldaten zielte.
»Ja«, sagte Kirsty bescheiden.
Ausdruckslos meinte Schofield: »Schließ die Augen, Schatz.« Kirsty schloss die Augen und die Welt wurde schwarz.
Und dann hörte sie plötzlich ein doppeltes Bumm! Bumm! von Waffen, die abgefeuert wurden, und sie wusste nicht, wessen Waffen abgefeuert worden waren, und dann fiel sie auf einmal rücklings zu Boden, noch immer im Griff des SAS-Mannes, der sie als Schild
benutzt hatte. Sie schlugen schwer auf dem Boden auf und Kirsty spürte, wie sich der Griff des SAS-Soldaten löste.
Kirsty öffnete die Augen.
Die beiden britischen Soldaten lagen neben ihr auf dem Boden. Kirsty sah ihre Füße, ihre Taillen, ihre Brustkästen.
»Sieh nicht hin, Schatz«, meinte Schofield und kam zu ihr. »Das willst du dir nicht ansehen.«
Kirsty drehte sich um und blickte zu Schofield auf. Er hob sie hoch und hielt sie in den Armen. Daraufhin vergrub Kirsty den Kopf in Schofields Schulterplatte und weinte.
»Komm schon. Wir müssen hier verschwinden«, sagte Schofield sanft.
Schofield lud rasch seine Waffen nach, nahm Kirsty bei der Hand und die beiden verließen das Wohnzimmer.
Sie rannten um den geschwungenen Außentunnel zum östlichen Korridor. Sie gingen um die Ecke.
Und Schofield blieb jäh stehen.
An der Wand links von sich sah er einen großen, rechteckigen, schwarzen Kasten. Darauf waren die Worte geschrieben: »FUSEBOX«.
Der Sicherungskasten, dachte Schofield. Hier mussten die Franzosen zuvor das Licht abgeschaltet haben...
Schofield hatte eine Idee.
Er fuhr auf der Stelle herum und erblickte die Tür, die zum Biotoxinlabor hinter ihm führte. Gleich daneben sah er eine Tür mit der Bezeichnung »STORAGE CLOSET«. Diese Tür führte zum Vorratsraum.
Ja.
Schofield zog die Tür auf. Im Innern sah er Mopps und Eimer sowie alte Holzregale, beladen mit Reinigungsmitteln. Rasch griff Schofield hinauf und nahm eine Plastikflasche mit Ammoniak von einem der Regale.
Schofield verließ den Raum und eilte zum Sicherungskasten hinüber. Er riss dessen Tür auf und sah eine Ansammlung von Drähten, Rädchen und Aggregaten vor sich.
Kirsty stand weiter unten im Osttunnel, der zum Zentralschacht der Station führte.
»Beeilung!«, flüsterte sie. »Sie kommen!«
Schofield vernahm Stimmen über seinen frisch erworbenen Helm.
»...Hopkins, Bericht...«
»... hinter dem Mädchen her...«
»... Perimeterteam, sofort zur Station
zurückkehren. Wir haben hier ein Problem...«
Im Sicherungskasten fand Schofield rasch den Draht, den er suchte. Er zog die Isolierung herab, legte den Kupferdraht frei. Dann drückte er mit dem Kolben seines Gewehrs ein Loch in die Ammoniakflasche aus Kunststoff und setzte die Flasche über den freigelegten Draht. Langsam tropfte jetzt ein kleines Rinnsal Ammoniak aus der Flasche und auf den freigelegten Draht hinab.
Die Ammoniaktropfen klatschten rhythmisch auf den Draht.
Klatsch-klatsch. Klatsch-klatsch.
In diesem Augenblick ging, im Rhythmus der auf den blanken Draht herabtropfenden Ammoniakflüssigkeit, jedes Licht im Tunnel - eigentlich sogar jedes Licht in der ganzen Station - aus und wieder an, wie ein Stroboskop. An. Aus. An. Aus.
Im flackernden Licht des Tunnels packte Schofield Kirstys Hand und machte sich zum Zentralschacht davon. Sobald sie draußen auf dem Laufsteg waren, eilten sie die nächste Sprossenleiter zum Deck A hinauf.
Schofield schritt um den Laufsteg von Deck A zum Haupteingang der Station. Die Station flackerte schwarz und weiß. Dunkelheit, Licht, Dunkelheit, Licht.
Wenn er nur die britischen Hovercrafts erreichen könnte, dachte er, könnte er vielleicht von hier wegkommen und nach McMurdo zurückkehren.
Alles ringsumher war in Bewegung. Rufe hallten durch die Station, als die Schatten von SAS-Soldaten in dem flackernden Licht auf der Suche nach Schofield um die Laufstege rannten.
Schofield sah, dass einige der britischen Soldaten versucht hatten, Nachtsichtbrillen anzulegen.
Aber Nachtsicht war jetzt nutzlos. Da die Lichter der Station an- und wieder ausgingen, war ein jeder, der Nachtsichtbrillen trug, jedesmal blind, wenn die Lichter angingen - was alle paar Sekunden der Fall war.
Schofield erreichte den Korridor zum Haupteingang, gerade als ein SAS-Soldat daraus hervor auf den Laufsteg stürzte. Der SAS-Mann prallte mit Schofield zusammen und Schofield wäre fast über das Geländer des Laufstegs gestoßen worden.
Der SAS-Mann schlug auf dem Deck auf, stellte sich auf die Knie, hob das Gewehr, wollte feuern, doch Schofield versetzte ihm einen mächtigen Tritt an die Kinnlade, der den Soldaten krachend auf den Laufsteg schickte.
Schofield war gerade dabei, über den zu Boden gegangenen Soldaten zu treten, da sah er jäh auf dem Rücken des Mannes einen großen schwarzen Rucksack. Schofield schnappte ihn sich und öffnete ihn.
In dem Rucksack sah er zwei silbrige Kanister. Zwei silbrige Kanister mit einem grünen aufgemalten Band drumherum.
Tritonal 80/20-Ladungen.
Schofield runzelte die Stirn.
Er hatte sich schon zuvor gefragt, weswegen die Briten wohl Tritonalladungen zur Eisstation Wilkes mitgebracht hatten. Tritonal war ein extrem wirksamer Sprengstoff und wurde üblicherweise zum Zweck der Zerstörung benutzt. Wozu brauchte Barnaby es hier?
Schofield schnappte sich den Rucksack von der Schulter des bewusstlosen Mannes.
Währenddessen jedoch vernahm er Rufe aus dem Innern des Eingangskorridors. Daraufhin hörte er Schritte und das Klicken, mit dem die Sicherheitssperre von MP5- Gewehren entfernt wurde.
Das SAS-Kommando draußen, das Perimeterteam...
Sie kehrten in die Station zurück!
»Kirsty! Runter!«, schrie Schofield. Rasch fuhr er herum und hob seine beiden Waffen, gerade als der erste SAS-Soldat durch den Haupteingang zur Eisstation Wilkes hereinstürmte. Der erste Mann ging in dem Kugelhagel zu Boden und Blut spritzte ihm aus dem Körper.
Der zweite und dritte Mann hatten aus seinem Fehler gelernt und betraten die Station schießend.
»Zurück!«, schrie Schofield Kirsty zu. »Hier können wir nicht lang!«
Mit Kirsty auf dem Rücken glitt Schofield die nächstgelegene Sprossenleiter hinab.
Sie trafen auf Deck B. Eine Kugel prallte singend von der stählernen Leiter neben Schofields Augen ab.
Schofield vernahm weitere Stimmen über seinen britischen Helm:
»... den Teufel ist er dahin...«
»... hat das Mädchen mitgenommen! Hat Maurice, Hoddle und Hopkins getötet...«
»... hab ihn auf Deck A gesehen...«
Und dann hörte Schofield Barnabys Stimme. »Nero! Die Lichter! Entweder an oder aus! Such diesen verdammten Sicherungskasten!«
Die Station war ein Chaos, ein absolutes Chaos. Es gab kein stetiges Licht, lediglich das schreckliche, unregelmäßige Klickern.
Schofield sah Schatten auf der anderen Seite von Deck B.
Dort kann ich nicht hin.
Schofield blickte über den Zentralschacht hinweg und in einem flackernden Moment fiel sein Blick auf die einziehbare Brücke von Deck C.
Die Brücke von Deck C...
Schofield überprüfte rasch seine Ausrüstung.
Eine Glock-Pistole. Eine MP5. Keine von beiden würde ausweichen, zwanzig SASSoldaten auszuschalten.